Urteil des EuGH im Abgasskandal

2020 kann – trotz Corona – auch ein erfreuliches Jahr werden – zumindest für viele Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind. Fünf Jahre nachdem der VW-Konzern die Verwendung einer sog. Abschaltsoftware öffentlich einräumte und währenddessen der VW-Vorstandsvorsitzende Dr. Herbert Diess in der deutschen ZDF-Talksendung „Lanz“ in Bezug auf die Nutzung der Abschaltsoftware sogar von „Betrug“ sprach, positionieren sich nun die ersten obersten Gerichte.

Generalanwältin am EuGH: „unionsrechtlich verbotene Abschalteinrichtung“

So stellte die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Eleanor Sharpston, diesen April in ihrem Schlussantrag fest, dass eine Vorrichtung, die bei Zulassungstests von Dieselkraftfahrzeugen einen Einfluss auf die Funktion des Emissionskontrollsystems dieser Fahrzeuge ausübt, eine unionsrechtlich verbotene „Abschalteinrichtung“ darstelle (Anträge vom 30. April 2020, Az. C-693/18). Das Urteil des EuGH steht zwar noch aus und Schlussanträge der Generalanwälte sind grundsätzlich nicht bindend. Doch: Der EuGH folgt überwiegend den Schlussanträgen der Generalanwälte, sodass hier ein baldiges kundenfreundliches Urteil erwartet werden darf.

Urteil des BGH vom 25.5.2020 (Az. VI ZR 2525/19)

In der Zwischenzeit legt der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) auf nationaler Ebene nach. Am vergangenen Montag, dem 25. Mai 2020, entschied er erstmals über einen sogenannten „Dieselfall“ (Az. VI ZR 2525/19). Darin hatte der Kläger einen Gebrauchtwagen VW Sharan 2.0 TDI mit einem 2,0 Liter Dieselmotor des Typs EA189 Schadstoffnorm Euro 5 von einem Autohändler gekauft. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software sorgte dafür, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand die gesetzlich zulässigen Stickoxid-(NOx)-Emissionsgrenzwerte einhielt. Im Straßenbetrieb schaltete sie hingegen in einen Modus, in dem die NOx-Emissionen um ein Vielfaches höher lagen, sodass die gesetzlichen Grenzwerte überschritten wurden. Der BGH hält nun ausdrücklich fest, „dass dem Käufer eines mit einer derart unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche gegen VW zustehen“. Denn: Es läge eine „vorsätzliche sittenwidrige Schädigung“ vor. (Hervorhebung jeweils durch den Verfasser, Anm.)

So urteilt der BGH:

„Das Verhalten der Beklagten (Anm.: von VW) im Verhältnis zum Kläger ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden.“

OGH wartet ab

Acht weitere Verfahren sind derzeit noch am EuGH anhängig. Zwei weitere Entscheidungen des BGH werden noch bis zum Sommer 2020 erwartet. In Österreich steht hingegen die Zeit still: Auf ein Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofes (OGH) können österreichische Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind, weiterhin warten. Nichtsdestotrotz sind auch vor dem OGH einige Fälle zum „Abgasskandal“ offen, die der OGH nun allerdings bis zur Entscheidung des EuGH über einen vom OGH am 17.3.2020 gestellten Antrag auf sog. Vorabentscheidung durch den EuGH unterbrochen hat. In Österreich wird es sohin wohl noch einige Zeit dauern, bis eine Entscheidung des Höchstgerichts im Abgasskandal vorliegt. Doch: Könnte das Geschehen auf EU- und deutscher Ebene nicht auch Bedeutung für die hiesigen, rechtsanhängigen Dieselfälle haben?

Bedeutung des BGH-Urteils für österreichische Gerichte

Es ist nicht auszuschließen, dass das BGH-Urteil auch in Österreich Bedeutung erhalten könnte. Es gilt zwar der Grundsatz, dass der Geltungsbereich des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an der deutschen Grenze endet. Da der BGH im oben näher beschriebenen Dieselfall allein die Regelungen des BGB zugrunde legte, ist auch seine Beurteilung auf diese Regelungen beschränkt.

Allerdings: Das österreichische und deutsche Recht sind sich nicht unähnlich. So folgt die österreichische Regelung in § 1295 Abs. 2 ABGB denselben Grundsätzen wie jene deutsche zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB.

So heißt es in § 1295 Abs. 2 ABGB:

„Auch wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt, ist dafür verantwortlich, jedoch falls dies in Ausübung eines Rechtes geschah, nur dann, wenn die Ausübung des Rechts offenbar den Zweck hatte, den anderen zu schädigen.“

§ 826 BGB lautet:

„Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlichen Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet“

Nach beiden Regelungen bedarf es also (1.) eines Verstoßes gegen die guten Sitten, (2.) des Vorsatzes/der Absicht und (3.) eines kausalen Schadens. Der BGH hat alle drei Voraussetzungen in seinem Urteil von dieser Woche ausdrücklich bejaht. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die österreichischen Gerichte an dem Urteil des BGH orientieren könnten, zumal dies schon häufig in der Vergangenheit passierte – sogar in Dieselfällen. So wendete das Handelsgericht Wien beispielsweise die BGH-Formel zur Berechnung des Benützungsentgelts in Dieselfällen an, die da heißt „Kaufpreis x gefahrene Kilometer / Gesamtlaufleistung“ (wir berichteten hier).

Weiterhin darf auch nicht vergessen werden, dass das Oberlandesgericht Wien (OLG Wien, bspw. in einem Teilurteil vom 24. Juli 2019, Az. 5 R 78/19f, wir berichteten hier) wie auch das Handelsgericht Wien (wir berichteten hier) bereits ausdrücklich festhielten, dass die Abschaltsoftware des VW-Konzerns nicht zulässig sei und damit – schon vor dem BGH – eine verbraucherfreundliche Beurteilung wählten. Und schließlich: Nach derzeitigem Sachstand ist gut möglich, dass auch der EuGH die Unzulässigkeit der Abschaltvorrichtung auf europäischer Ebene bestätigt (siehe oben). Daher ist es für die österreichischen Gerichte nur noch ein kleiner und naheliegender Schritt, auch die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung – wie der BGH – zu bejahen.

Sollte ein österreichischer Kunde jetzt alternativ in Deutschland klagen?

Klage vor deutschem Gericht zweifelhaft

Es stellt sich aber alternativ die Frage, ob ein österreichischer Kunde, der vom Abgasskandal betroffen ist, nun nicht in Deutschland klagen sollte. Die deutschen Gerichte sind zwar nicht an das Urteil des BGH gebunden, müssen ihm also nicht folgen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Rechtsprechung den Vorgaben des BGH folgen wird. Weiters ist ein österreichischer Verbraucher auch frei in seiner Wahl, ob er VW vor einem deutschen oder einem österreichischen Gericht klagen möchte (vgl. OLG Wien, wir berichteten hier, und die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona vom 02. April 2020, Az.: C-343/19).   

Allerdings: Die Klage vor einem deutschen Gericht sollte gut überlegt sein – aus den folgenden Gründen:

  • Vor der Klageerhebung sollte geprüft werden, ob überhaupt deutsches Recht anwendbar ist. Da oftmals keine vertragliche Absprache existiert, richtet sich diese Fragestellung nach internationalem Privatrecht und kann unter Umständen dazu führen, dass österreichisches Recht vor einem deutschen Gericht zur Anwendung kommt. Und dann ist für den Kunden, der vom Abgasskandal betroffen ist, nichts gewonnen. Außerdem: Kommt österreichisches Recht vor einem deutschen Gericht zur Anwendung, kann dies den Nachteil haben, dass das deutsche Gericht ein kosten- und zeitintensives Gutachten in Auftrag geben könnte, um die österreichische Rechtslage zu eruieren.
  • Das zuständige Gericht befindet sich grundsätzlich am Sitz des Beklagten und damit in Braunschweig. Die Gerichte in Braunschweig urteilten bisher stets im Sinne von VW. Da sie an die Entscheidung des BGH rechtlich nicht gebunden sind, ist es fraglich, ob sie nun eine 180-Grad-Wende vollführen.
  • Schließlich: Die österreichische Partei hat die Kosten der An- und Abreise zu tragen, die auch die Rechtschutzversicherung nicht übernimmt.

Welches Recht wäre anwendbar?

Wie bereits oben erwähnt, richtet sich das anzuwendende Recht – sofern keine vertragliche Absprache existiert – nach internationalem Privatrecht. Die einschlägigen Regelungen sind dabei durchaus komplex und stellen auf den jeweiligen Einzelfall ab. So ist insbesondere entscheidend, welcher Anspruch eingeklagt werden soll und ob ein Verbraucher klagende Partei ist. Eine pauschale Antwort auf die Frage nach dem anzuwendenden Recht kann daher nicht gegeben werden.

Was ist mit der Verjährung der Ansprüche?

Außerdem: Durchaus klingt das BGH-Urteil für Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind, äußerst vielversprechend. Das deutsche Recht hat aber auch ein paar Fallstricke parat. So wird das BGH-Urteil einem vom Abgasskandal betroffenen Kunden, der heuer seine Klage erheben möchte, wohl wenig helfen. Ein Anspruch verjährt in Deutschland grundsätzlich nach drei Jahren. Damit ist wohl vielen Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind, der Schadensersatzanspruch über das deutsche Recht versperrt. In Österreich verjähren Ansprüche hingegen grundsätzlich nach dreißig Jahren. Hier besteht also noch Hoffnung, zu seinem Anspruch zu gelangen.

Hat das BGH-Urteil auch Auswirkungen auf Porsche, Audi & Co.?

Das BGH-Urteil könnte auch Auswirkungen auf Kraftfahrzeuge der Marken Audi, Skoda, SEAT und Porsche haben, denn auch hier wurden Motoren verbaut, die VW hergestellt hat. Auch bei den Fahrzeugen dieser Marken kann sohin mit der Argumentation, dass VW den jeweiligen Motor manipuliert hat, gegen VW vorgegangen werden.

Wie sieht es mit Kunden aus, die einen betroffenen Mercedes haben?

Bei Mercedes gestaltet sich die Lage derzeit etwas komplizierter, da – anders als bei VW – kein Eingeständnis seitens der Daimler AG bezüglich der Verwendung einer Abschalteinrichtung vorliegt. Mercedes bestreitet eine solche Vorrichtung sogar aktiv. Aber: Wie der BGH in seinem Urteil vom 25. Mai 2020 erkannt hat, obliegt es dem Hersteller, darzulegen und zu beweisen, dass auf Vorstandsebene keine Kenntnis von einer allfälligen Manipulation existierte. Somit könnte sich auch für Mercedes-Kunden etwas aus dem BGH-Urteil gewinnen lassen und auch für diese das Jahr 2020 nicht unerfreulich werden.

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