Urteil Oberster Gerichtshof im Dieselskandal

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat am 21. Februar 2023 sein erstes Urteil im Abgasskandal erlassen (10 Ob 2/23a). Dieses gibt Klagen im Abgasskandal deutlich Rückenwind.

Kauf eines VW Tiguan, EA189, EU5

Im vorliegenden Fall kaufte der Kläger von der beklagten Fahrzeughändlerin im Jahr 2015 einen VW Tiguan Lounge TDI BMT. Dieser ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 der Abgasklasse EU 5 ausgestattet. Es handelt sich hierbei um ein Auto, das vom Dieselskandal betroffen ist, weil das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer sog. Umschaltlogik ausgestattet wurde. Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete an, diese Umschaltlogik zu entfernen um die Vorschriftsmäßigkeit der genehmigten Aggregate zu gewährleisten. Um diesen Zustand herzustellen hat die Herstellerin ein Softwareupdate entwickelt. Dieses sollte die Umschaltlogik eliminieren. Der Kläger ließ dieses Softwareupdate bei seinem Fahrzeug aber nicht durchführen, weil es für ihn keine Lösung darstellte.

Umschaltlogik ist eine unzulässige Abschalteinrichtung

Das Vorhandensein der Umschaltlogik ist nach Ansicht des OGH jedenfalls ein Sachmangel. Der OGH deutet an, dass die mangelnde Typengenehmigung zusätzlich noch als Rechtsmangel zu qualifizieren sein könnte.

Das Softwareupdate ist keine Verbesserung

Bei Mängeln am Fahrzeug, die bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorlagen, ist der Verkäufer grundsätzlich zunächst verpflichtet diese zu verbessern. Das Softwareupdate stellt laut OGH aber keine taugliche Verbesserung dar. Der OGH begründet dies damit, dass es sich bei dem mit dem Softwareupdate installierten Thermofenster ebenfalls um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Deswegen hat hinsichtlich des Mangels der unzulässigen Abschalteinrichtung keine Verbesserung stattgefunden. Der Käufer ist daher zur Aufhebung und Rückabwicklung des Kaufvertrags berechtigt.

Deutliche Worte zum Benützungsentgelt – wenn, dann bei redlichem Autokäufer jedenfalls lineare Methode sachgerecht

Ob und wenn ja, in welcher Höhe ein Benützungsentgelt zu entrichten ist, war im Abgasskandal lange Zeit strittig. Es gibt verschiedene Methoden zu dessen Berechnung.

Die Händlereinkaufspreismethode stellt auf den Marktwert des gebrauchten Autos zum Wandlungszeitpunkt ab. Das Benützungsentgelt bei dieser Methode wird aus der Differenz des Gebrauchtwagenpreises zum Neupreis berechnet. Diese Methode würde aber laut OGH zu unbilligen Ergebnissen führen. Dies, weil Autos insbesondere in den ersten Jahren einen unverhältnismäßig hohen Wertverlust erleiden. Durch diese degressive Rechnung würde das Benützungsentgelt in nur kurzer Zeit schon die Höhe des Kaufpreises erreichen. Der OGH ist der Ansicht, dass dem Käufer, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, nicht die Wertminderung aufgrund des Verlusts der Neuheit auf dem Weg des Benützungsentgelts aufgebürdet werden darf; sondern, dass der Wertverlust dem Verkäufer zugeordnet werden soll. Der Käufer muss nur den Anteil der Wertminderung zahlen, der auf die gebrauchsbedingte Abnützung des Autos zurückzuführen ist.

Der OGH erachtet hingegen die von der Lehre, vom deutschen Bundesgerichtshof (BGH) und auch von LEGAL CHAMBERS Kainz favorisierte lineare Berechnungsmethode als sachgerecht. Der Gebrauchsvorteil bemisst sich hiernach anhand der gefahrenen Kilometer und der erwarteten Restlaufzeit (Benützungsentgelt = Kaufpreis × gefahrene Kilometer : Restlaufleistung). Die Entscheidung zur Anwendung dieser Methode ist insofern für den Käufer erfreulich, weil sie keine degressive, sondern eine lineare Abwertung vornimmt und der Käufer in der Regel ein deutlich niedrigeres Benützungsentgelt zahlen muss.

Das Urteil des OGH geht aber noch einen Schritt weiter: Der OGH spricht nämlich aus, dass im Anlassfall (nur deswegen) ein Benützungsentgelt anzurechnen ist, weil sich der Kläger ein solches bereits selbst abgezogen hat. Ob im Abgasskandal generell ein Benützungsentgelt zu zahlen ist, also auch dann, wenn sich der Kläger ein solches nicht selbst abzieht, lässt der OGH offen. Es ist also durchaus denkbar, dass im Abgasskandal unter Umständen gar kein Benützungsentgelt zu leisten ist.

Benützungsentgelt bis zum Schluss der Verhandlung 1. Instanz

Eine weitere bisher strittige Frage betrifft den Zeitpunkt, bis zu dem der Käufer dieses Benützungsentgelt zahlen muss. Der OGH bestimmt hierfür nicht den Zeitpunkt der Klagseinbringung, sondern den Schluss der Verhandlung erster Instanz. Der Käufer hat also, wenn er die Sache nach Geltendmachung der Wandlung noch weiterhin nutzt, auch für diesen Zeitraum ein angemessenes Benützungsentgelt zu leisten.

Vergütungszinsen i.H.v. 4 % p.A.

Zusätzlich kann der Käufer laut dem Urteil des OGH nicht nur den Kaufpreis vom Verkäufer zurückverlangen. Er hat darüber hinaus auch Anspruch auf Vergütungszinsen.

Er kann ein Benützungsentgelt für den Nutzen, den der Verkäufer aus dem Kaufpreis ziehen konnte, verlangen. Dieser Nutzen hat die Höhe von 4 % jährlich aus dem übergebenen Betrag.

Signalwirkung für andere Fälle im Abgasskandal

Nach dem Eindruck von LEGAL CHAMBERS Kainz hat das Urteil des OGH große Sprengkraft auch für andere Fälle im Abgasskandal. Durch diese Entscheidung und die darin erklärte Zuordnung des Wertverlusts der Sache zum Verkäufer, ist davon auszugehen, dass auch in anderen Verfahren betreffend den Abgasskandal in Zukunft ähnlich entschieden werden könnte. Dies trifft nicht nur auf Fahrzeuge von VW, sondern auch auf Fahrzeuge anderer Hersteller zu, beispielsweise Mercedes, Audi, Skoda und Seat.

Wir haben bereits in zahlreichen Verfahren zum Abgasskandal positive Urteile erstritten. Erst kürzlich bestätigte beispielsweise das Oberlandesgericht Wien in drei von LEGAL CHAMBERS Kainz geführten Verfahren zum Abgasskandal die Aufhebung und Rückabwicklung der Kaufverträge (OLG Wien, Urteil vom 31.10.2022, 2 R 12/22g; Urteil vom 27.1.2023, 1 R 161/21k; Urteil vom 30.9.2022, 3 R 31/22h; allesamt noch nicht rechtskräftig).

Auch in einem Fall betreffend den Abgasskandal von Mercedes konnte LEGAL CHAMBERS Kainz unlängst für einen Autokäufer ein positives Urteil vor dem Handelsgericht Wien erstreiten (HG Wien, Urteil vom 28.2.2023, 48 Cg 24/20v; noch nicht rechtskräftig).

Für Beratungen und Rückfragen zum Abgasskandal stehen Ihnen Herr Rechtsanwalt Dr. Thomas Kainz, LL.M. und Frau Mag. Charlotte von Quistorp jederzeit gerne zur Verfügung.

Kontakt:
LEGAL CHAMBERS Kainz
Rechtsanwalt Dr. Thomas Kainz, LL.M.
Universitätsring 12
1010 Wien
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E-Mail: office@legal-chambers.at

Links:
Urteil des OGH vom 21.2.2023, 10 Ob 2/23a im RIS

Urteile von LCK (Auszug):
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LCK Seiten zum Abgasskandal:
Allgemeine Informationen zu Dieselgate / Abgasskandal
Allgemeine Informationen zum VW Abgasskandal

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